„Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen“. Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa

„Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen“. Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa

Organisatoren
Dietmar Hüser / Saskia Lennartz, Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte, Universität des Saarlandes; Jean-Christophe Meyer, Laboratoire DynamE, Université de Strasbourg
Ort
Saarbrücken
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2019 - 25.10.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Philipp Didion / Jasmin Nicklas, Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte, Universität des Saarlandes

Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich! Grund genug für die Organisatorinnen und Organisatoren der Universität des Saarlandes und der Université de Strasbourg, den Frauenfußball genauer in den Blick zu nehmen. Nach dem "frühen" Ausscheiden im Viertelfinale bei der letzten Weltmeisterschaft müssen sowohl die deutsche als auch die französische Frauennationalmannschaft um Sichtbarkeit bangen. Neben dem sportlichen Interesse hat dieses Turnier zudem zahlreiche der rund um den Frauenfußball, aber ebenso gesamtgesellschaftlich diskutierten Themen wieder in den Vordergrund gerückt: Es geht um den Gender Pay Gap, um die mediale Sichtbarkeit und Darstellung von Frauen und Weiblichkeit, um das Anfechten der nach wie vor von Männern dominierten Gesellschaften, die auch noch im 21. Jahrhundert mehrheitlich eine misogyne Haltung gegenüber dem Frauenfußball vertreten – also meistens um mehr als nur den Sport. Die Tagung in Saarbrücken beschäftigte sich aus einer europäischen, vorwiegend deutsch-französischen Perspektive mit den Entwicklungen und Trends des Frauenfußballs von dessen erstem Boom in der Zwischenkriegszeit bis heute.

DIETMAR HÜSER (Saarbrücken) und JEAN-CHRISTOPHE MEYER (Strasbourg) eröffneten die Konferenz mit einer kurzen thematischen Einführung, in der sie zunächst auf die oben genannten Anlässe eingingen. Beide betonten den transnationalen Zugang zum Frauenfußball, der bisher in der Forschung kaum berücksichtigt worden sei. Zugleich machten sie auf die interdisziplinäre Ausrichtung des Workshops aufmerksam, bei dem WissenschaftlerInnen aus Geschichtswissenschaft, Sportwissenschaft, Soziologie und Museologie zusammengekommen seien. Die VeranstalterInnen haben die Vorträge in sieben Panels gebündelt, die sich mit der Frühphase des Frauenfußballs in der Zwischenkriegszeit in Deutschland und Frankreich, seiner Verbreitung in Frankreich und Europa, dem Status von Frauen als Trainerinnen und Schiedsrichterinnen, Frauenabteilungen innerhalb von Männerfußballvereinen und Frauenfußball in Ost wie West beschäftigten. Abschließend wurden regionale, bildmediale und museale Blicke auf die fußballsportliche Praxis der Frauen thematisiert.

Im ersten Panel stand der Frauenfußball nach dem Ersten Weltkrieg im Fokus des Erkenntnisinteresses. Zunächst sprach XAVIER BREUIL (Besançon) über die Verbindung von Frauenfußball und internationalen Sportbeziehungen in der Zwischenkriegszeit. Breuil, der eine Dissertation zu diesem Thema verfasst hat1, versuchte die These zu widerlegen, dass eine tiefsitzende Opposition der Männer gegenüber den „fußballspielenden Damen“ dazu geführt habe, dass der Frauenfußball sich in der Zwischenkriegszeit nicht durchgesetzt habe. Vielmehr postulierte er, dass sich der Sport trotz des anfänglichen Booms am Ende der 1920er- und während der 1930er-Jahre aufgrund einer ausbleibenden internationalen Dynamik nicht etablieren konnte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs herrschte eine günstige Ausgangslage, die es Alice Milliat – von Thierry Terret als „Pierre de Coubertin des weiblichen Sports“ bezeichnet – ermöglichte, im Jahr 1921 die Fédération sportive féminine internationale (FSFI) zu gründen. Aufgrund interner Spannungen und der fehlenden internationalen Dynamik verschlechterte sich die Situation so sehr, dass die Praxis spätestens 1938 fast vollständig verschwand bzw. nur noch anonym weiter betrieben worden sei.

HELGE FALLER (Hagen) ergänzte diesen Aspekt mit einem detailreichen und äußerst gut dokumentierten Blick auf den organisierten Frauenfußball in Europa zwischen 1918 und 1939. Dabei untersuchte er fünf Frauenfußballnationen mit enorm hohem Organisationsgrad und konstatierte, dass der Zweite Weltkrieg diese Strukturen gänzlich zerstört habe. WOLFGANG FREUND (Saarbrücken/Nancy) wendete sich wie Breuil dem französischen Fall zu, wobei er die Rückkehr der traditionellen Gesellschaftsrollen, eine vielschichtige Kritik, das wachsende Desinteresse gegen Ende der 1920er-Jahre sowie den Anti-Feminismus während der Wirtschafskrise als Faktoren für den Niedergang des Frauenfußballs in den 1930er-Jahren und sein Verbot durch das Vichy-Regime 1941 ausmachte.

Das zweite Panel befasste sich mit der Verbreitung des Frauenfußballs in Frankreich und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. AUDREY GOZILLON (Liévin) präsentierte zunächst ihr Promotionsthema, eine histoire comparée des Frauenfußballs nach 1945 in England, Deutschland, Frankreich, Schweden, Norwegen und den USA. Sie fragte, wie sich die Diskrepanz zwischen der voranschreitenden Feminisierung des Fußballs und dem Hinterherhinken Frankreichs erklären lässt. Dabei untersuchte sie, wie sich sportliche Großereignisse auf den Frauenfußball in den untersuchten Ländern auswirkten. Für Frankreich stellte sie fest, dass der WM-Sieg der Männer 1998 sowie die Frauen-WM 2019 im eigenen Land – anders als große Erfolge bzw. Ereignisse in den anderen Staaten – kaum oder nur sehr kurzfristige Auswirkungen auf den Frauenfußball gehabt haben. CAMILLE MARTIN (Lyon) unterfütterte diesen Befund mit einer statistischen Betrachtung des Frauenanteils im französischen Fußball von 1992 bis 2019.

Im Anschluss konzentrierten sich LUCIE LE TIEC (Amiens) und ANNETTE HOFMANN (Ludwigsburg) / SILKE SINNING (Koblenz/Landau) auf Frauen als Schiedsrichterinnen bzw. Trainerinnen2. Sie hoben die großen Hindernisse und Stereotypisierungen hervor, mit denen Frauen umgehen müssten, wenn sie sich in das männerdominierte Trainer- und Schiedsrichterwesen integrieren wollten. In beiden Vorträgen wurde außerdem deutlich, dass es an statistischen Daten und Dokumenten der Verbände fehlt. Seriöse Forschung in diesem Bereich – ebenso wie zu anderen Aspekten des Frauenfußballs – sei immer mit einem hohen persönlichen Aufwand verbunden und komme einer Pionierarbeit gleich.

Der fußballerischen Praxis der Frauen in Männervereinen bzw. in einer maskulin dominierten Sportart widmeten sich SVEN GÜLDENPFENNIG (Vohburg an der Donau) und LAURENT GRÜN (Metz). Güldenpfennig betrachtete das Phänomen aus einer Makroperspektive. Er betonte, dass Sport weder männlich noch weiblich konnotiert sei, sondern als eigenständiges Sinnsystem verstanden werden müsse. Grün kam in seiner Mikrostudie auf den konkreten Fall des FC Metz zu sprechen. Er berichtete einerseits von den Schwierigkeiten, mit denen die Frauenfußballabteilung innerhalb des Metzer Vereins umzugehen habe, verdeutlichte aber andererseits das Innovationspotential des Clubs, der als erster einen Kooperationsvertrag mit einer Schule zur Ausbildung junger Fußballerinnen abgeschlossen hat. Insgesamt lautete sein Fazit in Bezug auf den Frauenfußball innerhalb des FC Metz jedoch „Toleranz ja, aber kein Wohlwollen“.

Ein anderer geographischer Zuschnitt manifestierte sich in den Vorträgen zum Frauenfußball in Ost und West im Kontext des Kalten Krieges. Basierend auf ihrer Dissertation3 analysierte CARINA SOPHIA LINNE (Berlin) den Frauenfußball in der Bundesrepublik und der DDR in den 1970er- und 1980er-Jahren. Sie verglich die Meilensteine der Sportart in Ost und West, deren Medialisierung sowie die Gesellschaftsbilder in den beiden untersuchten Jahrzehnten und beschloss ihren Beitrag mit einer kurzen Analyse des ersten und einzigen Länderspiels der DDR-Frauen am 5. Mai 1990. Anschließend befasste sich DARIUSZ WOJTASZYN (Wroclaw) mit Frauenfußball im Sozialismus am Beispiel der Volksrepublik Polen. Er zeigte die dortigen Entwicklungen von 1945 bis in die 1980er-Jahre auf und diagnostizierte einen Boom in den 1970er-Jahren. Seit der Spielzeit 1979/80 ist Frauenfußball mit der Polnischen Fußballmeisterschaft der Frauen auch offiziell anerkannt.

Die beiden nächsten Referenten betrachteten die Phase seit den 1960er-Jahren unter einem regionalhistorischen Prisma. Für das Saarland stellte SASKIA LENNARTZ (Saarbrücken) ausgehend von ihrer Bachelorarbeit fest, dass die fußballerische Praxis der Frauen – ebenso wie in ganz Westdeutschland – größtenteils von deren Eigeninitiative abhängig gewesen ist. Allerdings hätten die saarländischen Medien positiver darüber berichtet als die bundesrepublikanischen. Im Einklang mit zahlreichen anderen Vortragenden konstatierte sie, dass der weibliche Fußball Ausdruck und nicht Initiator der Frauenemanzipation gewesen ist. Schließlich rückte sie die Begeisterung für die Sportart in den Vordergrund, die letztlich ausschlaggebend dafür gewesen sei, dass Frauen Fußball spielten. HANS-PETER HOCK (Dresden) konzentrierte sich auf den Moselraum und das südwestlich von Koblenz gelegene Maifeld. Er stellte besonders die katalytische Wirkung des Turniers in Bad Neuenahr am 1. Mai 1970 heraus und ging auf die ersten Jahre der offiziellen Organisation innerhalb des Regionalverbands Rheinland ein.

Im letzten Panel standen bildmediale und museale Blicke im Fokus. Der freie Journalist FLORIAN BÜHRER (Berlin/Zürich) näherte sich mit zahlreichen Beispielen bildgeschichtlich dem Frauenfußball in der Schweiz und bilanzierte, dass der Frauenfußball in der Eidgenossenschaft den gesellschaftlichen Entwicklungen insgesamt hinterherhinke. So würden die fußballspielenden Frauen beispielsweise in Fotoreportagen weiterhin auf ihren Körper und ihr Aussehen reduziert. Zu den „großen“ Frauenfußballspielen kämen maximal 200 ZuschauerInnen. MARTIN WÖRNER (Dortmund), der das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund als Kurator maßgeblich mitgestaltet hat, gab am Beispiel des Frauenfußballs einen Einblick in seine Arbeit. Er betonte, dass es gelungen sei, sämtliche Phasen des Frauenfußballs zu musealisieren. In der Hall of Fame des deutschen Fußballs sei es den KuratorInnen sogar geglückt, eine Gleichgewichtung von Frauen und Männern herzustellen. Abschließend zeigte er sich zuversichtlich, dass der Frauenfußball auch zukünftig einen wichtigen Platz im Deutschen Fußballmuseum einnehmen wird.

In der Abschlussdiskussion äußerten sich alle Beteiligten zufrieden über Ablauf, Inhalte und Vielfalt der Konferenz. Es eröffneten sich ihnen neue Perspektiven für ihre eigene Forschung. Alles in allem hat der Workshop die Sinnhaftigkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Frauenfußball ein weiteres Mal unter Beweis gestellt und dabei neue – vornehmlich transnationale – Ansätze zu Tage gefördert. Zugleich wurde auf Schwierigkeiten – beispielsweise die Quellenlage, die Forschungsfinanzierung sowie den hohen persönlichen Aufwand – aufmerksam gemacht. Nichtsdestotrotz bleibt zu hoffen, dass die in der Forschungslandschaft eingeschlagenen Pflöcke dazu führen, dass das Thema auch zukünftig systematisch weiterverfolgt wird. Die Tagung sowie die angestrebte Publikation eines Sammelbandes sollen die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für das Themenfeld steigern.

Konferenzübersicht:

Dietmar Hüser (Saarbrücken) / Jean-Christophe Meyer (Strasbourg): Begrüßung

Panel I: Deutschland und Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg
Moderation : Malte König (Saarbrücken)

Xavier Breuil (Besançon): Football féminin et relations sportives internationales dans l’entre-deux-guerres

Helge Faller (Hagen): Auf eigenen Beinen – Der organisierte Frauenfußball in Europa von 1918 bis 1939

Wolfgang Freund (Saarbrücken/Nancy): Frauenfußball in Frankreich vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg

Panel II: Frauenfußball – Verbreitung in Frankreich und Europa
Moderation : Jean-Christophe Meyer (Strasbourg)

Audrey Gozillon (Liévin): Des figures de proues internationales au cas français – Analyse et comparaison du processus historique de féminisation du football

Camille Martin (Lyon): Quand le football féminin est mis à l’agenda – La diffusion de la pratique du football féminin (1992-2019)

Panel III: Frauen als Trainerinnen und Schiedsrichterinnen
Moderation: Jasmin Nicklas (Saarbrücken)

Lucie Le Tiec (Amiens): L’intégration des femmes arbitres de football – Un demi-siècle en demi-teinte

Annette Hofmann (Ludwigsburg) / Silke Sinning (Koblenz/Landau): Trainerinnen im Frauenfußball – Nationale und internationale Entwicklungen seit den 1980er-Jahren

Panel IV: Frauenfußball im Männerverein
Moderation: Florian Weber (Saarbrücken)

Sven Güldenpfennig (Vohburg an der Donau): Sportlicher Eigensinn, Misogynie und Selbstbehauptung – Über Frauenpower im Fußball und die Fußball-WM 2011 in Deutschland

Laurent Grün (Metz): De la difficulté d’exister au sein d’un club de football professionnel „historique“ – L’équipe féminine du FC Metz 2014-2019

Panel V: Frauenfußball in Ost und West
Moderation: Ansbert Baumann (Saarbrücken)

Carina Sophia Linne (Berlin): Spielanalyse – Der deutsch-deutsche Frauenfußball im Fokus der Geschlechter zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren

Darius Wojtaszyn (Wroclaw): Fußballerinnen im Sozialismus – Frauenfußball in der Volksrepublik Polen

Panel VI: Regionale Blicke auf den Frauenfußball
Moderation: Dietmar Hüser (Saarbrücken)

Saskia Lennartz (Saarbrücken): „Wir wollten doch nur Fußball spielen!“ – Die Anfänge des Frauenfußballs im Saarland

Hans-Peter Hock (Dresden): Spurensuche zwischen Weinreben – Frauenfußball an der Mosel und im Maifeld

Panel VII: Bildmediale und museale Blicke auf den Frauenfußball
Moderation: Melanie Bardian (Saarbrücken)

Florian Bührer (Berlin/Zürich): Lange Zeit belächelt – Die Stauffacherinnen treten seit über 50 Jahren gegen das runde Leder

Martin Wörner (Dortmund): In Szene gesetzt – Frauenfußball im Deutschen Fußballmuseum

Anmerkungen:
1 Xavier Breuil, Histoire du football féminin en Europe, Paris 2011.
2 Silke Sinning, Trainerinnen im Frauenfußball. Eine qualitative Studie, Schorndorf 2006.
3 Carina Sophia Linne, Frei gespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin 2011.


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